Geschichte

Gesungen habe ich schon immer seit ich denken kann, gerne und viel, und als Kind vor allem laut - nicht immer zur Freude der anderen Hausbewohner und Nachbarn. Doch erst im Alter von 10 Jahren wurde meinem Talent so etwas wie Struktur hinzugefügt: Mit dem Wechsel auf das Gymnasium trat ich in den Schulchor ein! Dies war ein reiner Volksmusikchor, jede Stimme mit 8 bis 12 Leuten besetzt, also insgesamt ziemlich groß. Ich stand, wie kann es anders sein, im Sopran mit meinem glockenhellen Kinderstimmchen. Gott sei Dank widmete sich unsere Chorleiterein im Halbjahresrythmus auch einmal anderen Stilrichtungen und so wurde im Jahr 2 meiner Chorausbildung aus unserem Volksmusikchor ein Shantychor und im Jahr 3 ein Gospelchor. Hier hatte ich etwas gefunden! Zum ersten mal zündete der Funke und aus Musik wurde Gefühl, aus Gesang wurde Leidenschaft, wenn auch noch eine sehr kindlich-naive Variante. Als wir uns dann im Jahr 4 wieder zurück zur Volksmusik orientieren sollten, wollte ich nicht mehr mit. Glücklicherweise war ich nicht die Einzige und so splittete sich eine kleinere Gruppe ab und bildete einen eigenen Chor. Wir blieben beim Gospel. In meiner Erinnerung ist dies eine unglaublich schöne und unbeschwerte Zeit. Wir trafen uns einmal die Woche und sangen, was die Stimmbänder hergaben aus tiefster Seele, ohne Ehrgeiz ohne Auftritts- oder sonstige Interessen, einfach nur aus reiner Freude am Singen.

Die wichtigsten Dinge, die ich während meiner Chorzeit gelernt habe, ist Noten lesen und nach Notenblatt singen, eine Fähigkeit, die ich mangels Übung später wieder eingebüßt habe (heute kann ich mit einem Notenblatt nur noch wenig anfangen, vielleicht eine grobe Vorstellung in meinem Kopf entwickeln, wie sich das darauf abgebildete Stück in etwa anhören könnte und ob es eher leicht oder schwierig umzusetzen ist). Des weiteren lernte ich Technik. Ich lernte meine Stimme wie ein Instrument zu gebrauchen, meinen Atem und meine Oberbauchmuskulatur einzusetzen und damit meine Stimme und ihre Klangfarbe zu beeinflussen, um schließlich so Emotionen auszudrücken. Zumindest wurde in dieser Zeit der Grundstein dafür gelegt, obwohl gerade das im Chor nicht abgefragt wurde, ja nicht einmal erwünscht war. Was ich nicht lernte ist Zählen, Rythmus, Timing und Zuhören, ein Manko, das mir wahrscheinlich für den Rest meines Lebens Probleme machen wird, wenn es darum geht mit Anderen zusammen Musik zu machen. Der Grund dafür war, dass unsere Chorleiterin mit allen Mitteln verhindern wollte, dass wir irgendwie aus unseren Stimmen purzelten, und so möglicherweise den ganzen Chor gefährden könnten. Deshalb musste jede Gruppe ihre jeweilige Stimme strikt auswendig lernen, bis sie sich richtig eingeschliffen hatte, ohne nach links oder rechts zu lauschen. Gesungen wurde dann mit Dirigent. Sie gab uns die Einsätze "Atem holen - jetzt - und los!" und dann wurde die eingepaukte Abfolge von Tönen heruntergesungen. Wie sich der Chor als Ganzes angehört hat, habe ich nie gehört. Ich stand mitten in der "Kindersoprangruppe" und kannte immer nur meine eigene Stimme. Schlecht kann es aber nicht gewesen sein, denn bei Schulfesten waren die Auftritte des Schulchors immer ein viel beklatschtes Highlight und auch unsere kleine Gospelgruppe bekam bei solchen Gelegenheiten ihre Chance, ihr Können öffentlich unter Beweis zu stellen. Das waren sozusagen meine ersten Auftritte.

Zwei weitere Jahre später löste sich die Gospelchorgruppe auf. Die drei Ältesten waren mit der Schule fertig, hatten das Gymnasium mit Abitur abgeschlossen und verlassen und kamen auch nicht wegen des Chors zurück, auch nicht für ein mal die Woche. Bei uns Übrigen ließ darauf hin die Motivation immer mehr zu Wünschen übrig. Einige begannen, die Proben zu schwänzen, manchmal saßen wir einfach nur so herum und schließlich beendeten wir das Projekt "Gospelchor" offiziell. Ich war nun mittlerweile 15, hatte bereits mit 12 angefangen, zu reiten. Meine Liebe zu den Pferden drängte alle anderen Interessen in den Hintergrund. In den großen Chor, der nun wieder bei der Volksmusik angekommen war, wollte ich nicht mehr zurück.

Ich beschäftigte mich mit den Pferden und dem Reiten, und sang nur noch so vor mich hin und für mich allein. Ich kam vom Gospel zum Musical. Mit 21 begann ich meine Lehre zum Pferdewirt Schwerpunkt Reiten. Ich wollte Reitlehrerin werden, mehr als alles Andere auf der Welt. (Siehe den anderen Teil der Homepage!). Dass dies einen 12- bis 14-Stunden-Arbeitstag und eine ca. 80-Stunden-Woche ohne Wochenende oder Feiertage bedeutet, war mir von Anfang an bewusst. Ich trauerte der fehlenden Freizeit für andere Hobbies auch nicht nach. Das war schon ganz in Ordnung so. Die Pferde waren das Wichtigste in meinem Leben. Musik trat in den Hintergrund. Nur selten hatte ich noch Zeit und Energie übrig, um etwas in dieser Richtung zu unternehmen. Zum Glück gab es zu dieser Zeit am Tiergärtnertorplatz in Nürnberg eine recht eifrige Freak- und Folkszene. Da war eigenltich im Sommer immer etwas los. Man traf sich, saß beisammen. Irgendwer hatte immer eine Gitarre dabei und spielte und an meinen wenigen freien Tagen setzte ich mich einfach dazu und sang mit. So kam ich vom Musical zum Folk.

Ich lernte dort einige Leute kennen. Insbesondere Einer war in Richtung Musik sehr ehrgeizig, fast so, wie ich beim Reiten, wollte unbedingt eine Band gründen und wie er sagte "richtig Musik machen, eventuell auch davon leben" - und er wollte mich als Sängerin für seine Band. Das kollidierte mit meinen Lebensvorstellungen. Ich musste absagen. Einige Zeit später erfuhr ich, dass er nun eine Sängerin für sein Bandprojekt gefunden hatte und ansonsten mit echten Profis aus der Musikszene in Fürth zusammenarbeiten konnte. Das Projekt lief gut an. Der Termin für den ersten Auftritt stand schon fest, und nachdem ich nun nicht aktiv dabei war, sollte ich doch wenigstens als Zuhörer kommen. Ich kam, hörte mir den Jungfernauftritt der Band "T-Bone" an und lernte dort Klaus kennen. - Ja richtig, d e n Klaus, Klaus Niegratschka, meine spätere Ehehäolfte, den echten Profi aus der Fürther Musikszene.

Klaus und ich kamen zusammen, nicht Knall auf Fall, eher so allmählich, dafür aber um so stabiler. Von nun an war ich in erster Linie mit Klaus unterwegs. Die nächsten Jahre behielten aber noch immer die Pferde die Oberhand. Schließlich war ich gerade im zweiten Lehrjahr.

Nach Beendigung der Lehre und einigen Gesellenjahren, insgesamt fünf an der Zahl, kam die Katastrophe. Bei einer Routineuntersuchung der Wirbelsäule (Pflichtübung bei Pferdewirten, alle zwei Jahre, die ich bis dahin allerdings auch nie wahrgenommen hatte) wurde bei mir eine Skoliose diagnostiziert. Fortführung des Berufs - undenkbar; Risiko, im Rollstuhl zu landen - gute Chancen; Erreichen der Meisterprüfung dagegen - unmöglich, mit einer so weit verschobenen Körperstatik; Umschulung auf einen sitzenden Beruf - unumgänglich! Ich lernte Bürokauffrau, etwas, was ich mir bis dahin nie hätte vorstellen können und kämpfte die nächsten Jahre mit meiner Schwermütigkeit.

Hier war ich nun bei Klaus, der für seine Bluesinterpretationen bekannt war, genau richtig. Auch so kann man zum Blues kommen. (Allerdings lernte ich nie, den Blues zu singen!). Der neue Beruf erlaubte nun aber sehr viel mehr in diese Richtung zu gehen. Auch als ehemaliger Berufssportler lehnte ich Alkohol ab, aber natürlich hatte ich einen Führerschein und ein kleines, altes Auto. Ich war praktisch der geborene Roadie. Von nun an begleitete ich Klaus bei allen seinen Auftritten. Die Band T-Bone gab es längst nicht mehr, andere Formationen bildeten sich und lösten sich wieder auf, Klaus blieb im Geschäft und ich blieb immer in Klaus' Schatten. Für den Rest der Welt, war ich immer die "Kleine, die Klaus im Schlepptau hatte", das war mir egal. Ich hatte mit anderen Problemen zu kämpfen. Ich hielt mich, so lange er auf der Bühne war, immer im Publikum auf und ansonsten den Mund. Er war der Profi, ich war ein Freizeit- und Badewannensänger. Wenn es um Auftritte ging: das war eine andere Liga, da konnte ich nicht mitspielen. So saß ich meistens irgendwo inmitten der treuen Fangruppe, die auch sonst bei jedem Auftritt dabei war, und sang eher heimlich mit und wieder nur so vor mich hin.

Bis ein Mitglied dieser Fangruppe, eine Frau, die an einem solchen Abend das ganze Konzert über neben mir gesessen hatte, lautstark davon vorschwärmte, was für eine schöne Stimme ich hätte, dass sie den ganzen Abend über so etwas wie ein Stereokonzert gehabt hätte und dass sie sich zum Geburtstag, der in wenigen Wochen stattfinden sollte, ganz dringend von mir wünschte, ein Extraständchen nur von mir zu hören, einmmal etwas ganz allein von mir, ohne den Alles überstrahlenden Einfluss von Klaus. Erst jetzt freundeten wir uns an, obwohl wir uns doch schon eine ganze Zeit lang kannten und dann erfuhr ich, dass ihr Umzug kurz bevor stand. Praktisch gleich nach ihrer Geburtstagsparty kamen die Umzugswagen. In dieser Situation fiel mir wieder aus meiner Musicalzeit das Lied "Send in the Clowns" ein. So traurig es war, es passte genau auf die Situation. Ich fing an zu üben, heimlich oder doch eher unheimlich! Dann kam der große Tag: die Geburtstagsparty meiner neuen Freundin, die nun schon so bald wieder aus meinem Leben verschwinden sollte. Für mich war das praktisch der erste Auftritt seit meinen Kinderchortagen und der erste Soloauftritt überhaupt. Ich starb fast vor Lampenfieber.

Um dem entgegen zu wirken, bat ich darum, mich nicht groß vorher anzukündigen, sondern einfach mitten drin, wenn die anderen Musiker Pause machten, noch einmal für Ruhe zu sorgen, mir dann einen Stuhl in die Mitte des Raumes zu stellen und mir gegenüber Platz zu nehmen, so dass ich mich der Illussion hingeben konnte, dass wir ganz allein waren und ich nur für sie sang. Gesagt - getan. Nach dem zweiten Set von Klaus und Co. wurde es plötzlich immer stiller im Raum und schon standen auch die zwei Stühle da. Als wir uns dann gegenüber saßen, hätte man eine Stecknadel fallen hören können. Keiner ahnte etwas von dem, was nun folgen sollte und deswegen vibrierte die Luft vor Spannung. Und in diese Stille hinein, fing ich an, zu singen. Es war mein "Send in the Clowns" mit all meiner ehrlichen Traurigkeit darüber, die gerade eben erst neu gewonnene Freundin nun schon wieder aufbrechen zu sehen. Einigen blieb der Mund offen stehen, einigen kullerten tatsächlich Tränen über die Wangen. Auch das Geburtstagskind war überwältigt. Das Publikum wankte sichtlich und spürbar zwischen enthusiastischem Beifall und tiefer Betroffenheit. Auch die Profis waren ganz still geworden. Man einigte sich darauf, mit dem nächsten Set noch ein bisschen zu warten, um die gerade entstandene Stimmung erst einmal wieder etwas abflauen zu lassen. Dieser eine einzige Kurzauftritt mit einem einzigen Lied brachte mich zumindest in die Nähe der Profiliga. Von nun an war ich die "Kleine mit der großen Stimme, die Klaus immer im Schlepptau hatte". Aber "über eine schöne Stimme verfügen" und "Singen können" sind nun mal immer noch zwei Paar Stiefel.

Bei einem Soloauftritt von Klaus in geschlossener Gesellschaft, als ich ziemlich allein in einer Ecke saß und wieder einmal meine Melancholie die Oberhand gewonnen hatte, bat ich Klaus darum, ein Intro für "Saint James Infirmary" singen zu dürfen, einfach weil ich mich einmal mitteilen und in einer Art Coming-out meiner Traurigkeit Luft verschaffen musste. Ich hatte das Gefühl sonst daran ersticken zu müssen. Dies war der zweite Überraschungserfolg. Das Intro blieb so und wurde fester Bestandteil des Programms. Nach und nach eroberte ich mir dann das ganze Lied.

Klaus und ich waren insgesamt 25 Jahre zusammen. Die Auftritte, die ich seit meiner Umschulung vor rund 20 Jahren nicht mit dabei war, kann man an zehn Fingern abzählen. In dieser Zeit haben wir es auf ungefähr 6 Lieder gebracht, die wir gemeinsam singen und aufführen konnten, ohne uns dabei in die Wolle zu bekommen. Zu unterschiedlich sind unsere persönlichen Hintergründe, unsere Herangehensweisen, unsere Auffassungen von dem, was gute Musik ist. Irgendwann musste ich mich musikalisch emanzipieren. Aber auch dafür brauchte es einen Anstoß von außen.

Der kam ebenfalls auf einer Geburtstagsfeier, diesmal ein Musikerkumpel, den wir aus dem Strohhalm kannten, Matthias - damals Theologiestudent. Auch er war gerade umgezogen und auch dies war wieder so etwas wie ein Abschiedsfest. Klaus schenkte ihm eine alte Gitarre, das Original aus der Zeit von ak & Co., nachdem sie bei einem Gespräch herausgefunden hatten, dass Matthias damals schon ein glühender Fan war und sich vor ewiger Zeit, fast noch als Kind, bei einem Auftritt der Band ak & Co. darum gerissen hatte, eben jene Gitarre tragen zu dürfen. Matthias war überwältigt, aber er hatte auch ein kleines Geschenk für mich. Er sagte, es sei sein Danke dafür, dass ich immer so schön für ihn gesungen hätte. Es war eine Musikcasette. Da sei einfach mal etwas ganz Anderes drauf, aber er glaubte, dass das etwas für mich sein könnte. Es war Billie Holiday, "The Lady in Autumn".

Das war der entscheidende Funke. Das war durch und durch meine Musik. Das traf mich ohne Umweg über das Gehirn direkt ins Herz. Und immer wieder diese sanfte Melancholie, das war der Spiegel meiner Seele. Diese Lieder, diese Texte - so viel Audruckskraft, das wollte ich singen, mit meiner eigenen klaren und eher hellen Stimme, mit meiner eigenen Ausdruckskraft. Ich begann, mich mehr und mehr für Jazz zu interessieren, sammelte zunächst noch mehr Material von Billie Holiday, dann kamen auch Ella und Sarah dazu. Je mehr ich mich damit befasste, umso größer wurde der Schatz, den ich mir nach und nach erschloss. Je mehr ich für mich fand, um so mehr gab es noch zu entdecken. Hier tat sich ein neuer Horizont auf. Klaus konnte und wollte mir auf diesem Weg nicht folgen. Meine ersten Ansätze schrien auch förmlich nach einem Klavier als Begleitinstrument, da es mich viel besser führen und doch gleichzeitig meine Stimme untermalen und noch mehr zur Geltung bringen konnte.

Der Zufall bescherte mir die Bekanntschaft mit Helmut Friedrich im "Schlössla". Dort stand immer ein altes Klavier. Klaus sollte spielen, war aber vorher nicht groß angekündigt worden. Eben deswegen war Helmut da, weil er sonst immer freitags, wenn kein anderer Künstler spielte, sich ein wenig ans Klavier setzte. Er hatte also quasi keinen Auftrag an diesem Abend. Nachdem er sich Klaus ein Set lang angehört hatte, wollte er schon gehen und als er schon in der Tür war, hörte er mich "Saint James Infirmary" singen. Das bewog ihn, sitzen zu bleiben. Er wollte mich noch einmal singen hören. Aber das Set verging und ich kam nicht noch einmal zum Einsatz. In der Pause hatte er dann doch Lust bekommen, selber ein bisschen zu spielen, setzte sich an das Klavier und sorgte für etwas Kontrastprogramm. Nun war ich hypnotisiert. "Der spielt ja 'Blue Moon'", konnte ich gerade noch sagen und dann zog es mich unwiderstehlich nach vorne hin zu dem äteren eleganten Herren am Klavier. Ich musste einfach mitsingen. So fand ich meinen ersten Begleitpianisten.

Helmut und ich trafen uns einmal die Woche im Schlössla, um dort ca. zwei Stunden zu proben, mitten unter der Woche und so früh wie möglich, damit so wenige Gäste wie möglich, sich gestört fühlen könnten. Das heißt, ich sang einfach drauf los und Helmut begleitete, ohne mich zu verbessern. Er ließ mich diese Musik autodidaktisch erkunden. Er meinte, dass jeder Versuch, mich zu verbessern nur meiner Audruckskraft abträglich wäre. Fehler beim Timing kommentierte er mit "Na dann spiel mer da halt an Abnäher rein!" Er folgte meinen Interpretationen mit unheimlich viel Einfühlungsvermögen und auch ich näherte mich ihm immr mehr an. Im Laufe der Zeit wurden wir ein richtig gutes Duo. Diese halb öffentlich abgehaltenen Proben sprachen sich herum und bald kam doch Publikum, extra um uns zu hören. So kam es zu meinem ersten Engagement als Jazzsängerin. Helmut und ich sollten auf einem 60igsten Geburtstag aufspielen. Helmut verhandelte ganz cool um die Gage, war aber insgeheim begeistert. Er meinte, das wäre so eine Art letzte Bewährungsprobe. Wenn wir so als Duo ankommen, dann gibt es uns von nun an nur noch im Doppelpack. Für mich bedeutete das, dass ich eventuell auch zur nächsten Spielzeugmesse an der Bar im Maritimhotel singen dürfte, weil Helmut dort alle Jahre wieder ein Engagement hatte. Ich wurde euphorisch. An jenem Geburtstag gab ich Alles. Unser spezielles Geburtstagsgeschenk für den Jubilar war das Lied "Smile", das Helmut ganz besonders liebte. Es lief hervorragend. Lautstärke, Abmischung und Programm waren genau auf das abgestimmt, was es sein sollte - gute Unterhaltung für die, die zuhören wollten und sanfte Hintergrunduntermalung für die, die sich in lockerer Atmosphäre mit anderen Menschen und Dingen unterhalten wollten. Ich war überglücklich. Jetzt konnte es richtig losgehen. Mit meiner ganz eigenen Musik. Die nächste Probe musste jedoch ausfallen, wegen der Pfingstfeiertage. Als ich mich die Woche darauf wieder mit Helmut im Schlössla treffen wollte, war er nicht mehr da. Er war nur drei Tage nach diesem denkwürdigen Auftritt gestorben. Herzversagen.

Erst wollte ich schon ganz hinschmeißen, aber dann dachte ich daran, dass das wahrscheinlich das Letzte gewesen wäre, was Helmut gewollt hätte und so begann ich, nachdem ich meine Fassung wieder gewonnen hatte, mich nach einem neuen Begleitpianisten umzuschauen, zunächst nur sehr halbherzig, dann aber doch intensiver. Ich hörte mir Einige an, probierte auch aus, aber ich fand niemanden. Gerade für die jungen Wilden, war ich unglaublich unprofessionell. Die spielten mich einfach an die Wand. Ich wiederum zollte ihnen Respekt dafür wie sie ihr Instrument beherrschten, technisch wirklich perfekt, und wie viel sie über Musik wussten. Hier waren sie mir ja nun wirklich Lichtjahre voraus. Nirgendwo aber fand ich das Gefühl für diese einzigartigen Lieder und für meine Interpretationen, so wie ich es von Helmut her kannte. Stattdessen überall nur Selbstdarsteller, die im Grunde nur wenig Interesse daran hatten, wirklich zu begleiten, was ja auch bedeuten würde, in den Hintergrund zu treten. Ein Jahr verging, dann zwei. Ich wurde wieder mutlos. Ich hatte es versucht, in Gedenken an Helmut, aber nun verliefen sich die Dinge dann doch im Sande.

Es vergingen wieder einige Jahre, bis der Hinweis eines alten Freundes, mir die Bekannschaft mit Werner Hausen bescherte. Werner war immerhin der Erste, der sich mein Anliegen in Ruhe anhörte, mich vorsingen ließ und sich auch sonst ernsthaft damit auseinander setzte. Er konnte mein aktuelles Können sehr schnell einordnen, war aber nicht bereit, auf der gleichen Ebene wie Helmut mit mir zu arbeiten. Statt dessen bot er mir an, mich für wenig Geld zu unterrichten, bis ich wirklich bandtauglich sein würde. Es folgten zwei Jahre Zusammenarbeit, wieder einmal die Woche Proben. Für mich war das eine tolle Zeit. Ausgerechnet ganz am Anfang, nach unserem Kennenlernen operierte ich an einer nicht ausgeheilten Bronchitis herum und die Stimme musste erst einmal wieder neu aufgebaut werden. Aber dann ging es wieder richtig los. Ich lernte wirklich viel, baute mein Reportoire aus und konnte dabei aber meinem Stil doch treu bleiben und immer wieder diese ganz eigene Atmosphäre sanfter Melancholie erschaffen. "Blue Moon", "Just friends" und "God bless the Child" - das waren meine Lieder. Hier war mein Herz drin.

Diese Zusammenarbeit trug auch Früchte, wie man unter "Auftritte" nachlesen kann. Außer bei den genannten, habe ich noch bei einigen anderen Jazz-Sessions mitgesungen. Leider aber reichte die Zeit nicht, um mich in der speziellen Jazz-Szene als Sängerin hinreichend bekannt und mich von meinem Mentor unabhängig zu machen. Auch bei den Sessions war ich immer sehr auf Werners Teilnahme angewiesen. Wie seinerzeit mit Helmut hatten wir uns gut aufeinander eingespielt. Er wusste, was ich wollte und konnte auch die anderen Mitmusiker so anleiten, dass am Ende meine Interpretation im Raum stand - zumindest während des Gesangsparts. In ihren jeweiligen Soli konnten die Mitmusiker sowieso machen, was sie wollten, auch wenn sich dann die Klangfarbe des Liedes kurzzeitig veränderte. Zum Glück traf ich aber auch hier sehr einfühlsame Mitmusiker. Mein besonderer Dank gilt an dieser Stelle Max Link, der mir mit seinem Saxophon direkt aus dem Herzen sprechen konnte.

Nach diesen zwei Jahren, kündigte Werner die Zusammenarbeit auf. Seine Lebensumstände hatten sich verändert. Er brauchte mehr Zeit für sich. Ich war mit einem Abend die Woche zu zeitintensiv. So weit konnte ich ihn ja auch ganz gut verstehen.

Er hatte zwar schon einige Zeit davon gesprochen, aber das tatsächliche Ende kam dann doch sehr plötzlich. Leider war er mir bei der Suche nach einem Nachfolger auch nicht mehr behilflich. So stand ich von einer Woche auf die nächste plötzlich wieder ohne Lehrer und ohne Begleitung da - genau da wo ich zwei Jahren zuvor auch schon einmal stand, und wieder ein bisschen fassungslos.

Zukunft



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Erstellt am 20.08.2008, letzte Änderung am 27. November 2015 * * * Impressum