Einige kritische Anmerkungen ...

Was heißt denn hier "klassisch"?!

Unter "Meine Philosophie" finden Sie, dass eine gute Grundausbildung für das Pferd mir besonders am Herzen liegt. Diese Grundausbildung ist das Fundament, auf dem jedweder Einsatz des Pferdes aufbaut. Sie ist gegliedert in die sechs Begriffe der "Ausbildungsskala des Pferdes" (Takt, Losgelassenheit, Anlehnung, Schwung, Geraderichten, Versammlung), die derzeit auf verschiedenen Reiterforen wieder heiß diskutiert wird.

Erst wenn es diese Ausbildung durchlaufen hat, wird aus einem Pferd ein Reitpferd. Vom rohen Pferd bis zum Ende der Grundausbildung vergehen ungefähr zwei Jahre. Zwar sind die Pferde sehr viel schneller in der Lage mit dem Verstand zu erfassen, was wir Menschen von ihnen wollen, die enorm großen Muskelpartien, die das Pferd im Rücken und in der Hinterhand braucht, um einen Menschen sicher und ausbalanciert zu tragen, entwickeln sich aber auch beim schicksten Sportpferdemodell nicht schneller. Gras wächst auch nicht schneller, wenn man daran zieht.

Diese zwei Jahre der Grundausbildung sollten sich möglichst abwechslungsreich gestalten. Das bedeutet, das neben dem Training in der Halle oder auf dem Platz auch das Geländereiten (wo man sich die sechs Begriffe der Ausbildungsskala übrigens genauso wie in der Halle erarbeiten kann!) und das Überwinden kleinerer Hindernisse gleichberechtigt nebeneinander stehen sollten. Erst wenn das Pferd die ersten vier Begriffe der Ausbildungsskala sicher und die letzten Beiden zumindest im Ansatz beherrscht, sollte man über eine Spezialisierung nachdenken.

Die Ausbildungsskala ist die Leitlinie für die Grundausbildung, aber auch der rote Faden, der den Aufbau jeder einzelnen Trainingseinheit bestimmt. Sie gibt der Arbeit mit Pferden Sinn und Richtung. Bis dahin ist noch von keiner einzigen Lektion die Rede. Trotzdem spricht man im Allgemeinen bereits von "Dressur". Ich persönlich finde dieses Wort an dieser Stelle falsch gewählt. Richtig müßte es eigentlich "Gymnastizierung" heißen, denn um nichts Anderes geht es in erster Linie während der Grundausbildung. Das Pferd muss in dieser Zeit die besagten Muskeln aufbauen, des weiteren werden seine Sehnen und Gelenke abgehärtet und gleichzeitig geschmeidig gemacht. Es wird, nachdem man es zuerst in die Lage gebracht hat, einen Reiter tragen zu können, wendiger, geschmeidiger, geschickter und gleichzeitig stabiler und sicherer in seinen Bewegungen. Es handelt sich also um eine Art "Bodybuilding und Fitnessprogramm" - bis dahin immer noch auf Breitensportebene, auch für das Pferd - das uns dabei hilft, unseren Sportpartner möglichst lange gesund, fit und einsatzbereit, für was auch immer, zu halten. Dies gilt auch für Freizeitpferde, die so gut wie ausschließlich ins Gelände geritten werden, denn auch sie brauchen die dafür notwendige Kraft und Kondition und gerade sie brauchen bei dem naturbelassenen Boden Trittsicherheit, Geschicklichkeit und eine gute Balance.

So weit die Theorie, wie man sie in jedem seriösen Fachbuch, besonders auch in den "Richtlinen für Reiten und Fahren" von der FN nachlesen kann. Dies ist der Sockel der "klassischen Reitlehre". Die Praxis sieht leider ganz anders aus.

Wer "Dressur" hört, denkt sofort an Wettkampf auf dem Viereck in Frack und Zylinder. Hier, so sollte man meinen, sieht man "klassische Reitkunst" in Vollendung. Das Gegenteil ist der Fall. Nirgendwo sonst werden die Richtlinien mehr mit Füßen getreten und die gesamte Ausbildungsskala ad absurdum geführt. Nirgendwo wird so offenbar, wie weit sich die FN von den von ihr selbst aufgestellten Regeln entfernt hat. Hier sieht man enge Hälse, die mit straff angespannter Kandare in eine absolute Aufrichtung gezwungen werden und so aussehen, als ob der Rest des Pferdes irgendwie nicht dazugehören würde. Hier sieht man die spannigen Schwebetritte, bei denen die Vorderhufe fast die Waagrechte erreichen, während die Hinterhufe kaum den Sandboden verlassen. Da bei diesem Bewegungsablauf kein reiner Zweitakt mehr möglich ist, sieht das Ganze auch noch ziemlich holprig aus. Hier sieht man Piaffen und Passagen, bei denen jeder Bewegungsfluss verloren gegangen ist und die Hinterbeine eher abgehackt nach oben zucken. Ohne hier jemandem etwas unterstellen zu wollen, sieht das für mich so aus, als hätte man diese Lektionen den Pferden mit Hilfe eines elektrischen Schweinetreibers beigebracht. Hier sieht man kaum noch einen richtigen Schritt im Viertakt, jedenfalls nicht, wenn die Zügel anstehen, sondern überall Passgang mit deutlich sichtbaren Spannungen im Rücken (macht ja nichts, auch so kann man Europameister werden!). Hier sieht man die aufgerollten Hälse, die mittlerweilen sogar von der FN als "Tool" bezeichnet werden, dem man auf Grund einer "Langzeitstudie" über 8 Monate (!) "medizinische Spätfolgen nicht nachweisen konnte". Nirgendwo sonst, außer noch bei Reitpferdeauktionen und Junghengstepräsentationen sieht man so offensichtlich zur Schau gestellte und systematisierte Tierquälerei.

Und wo sind die Richter, die das eigentlich ahnden sollten? Wo bleibt der Einspruch der FN, die die klassische Reitlehre eigentlich vertreten und schützen sollte? FN - Quo vadis? Da muss ich mir nur die DVD "Klassik contra Classique" von den Dressurstudien anschauen (Christoph Hess gegen Phillippe Karl). Was auch immer Herr Hess da vertritt, es hat nichts mit dem zu tun, was mir in der Berufsschule von Manfred Gold als "Inhalte der klassischen Reitlehre" beigebracht wurde. Wenn Herr Hess die klassische Reitlehre vertritt, dann vertritt er sie dermaßen schlecht, dass damit solchen neuen Gurus, von denen es außer diesem Herrn Karl noch viele mehr gibt, Tür und Tor geöffnet wird. Aber nicht nur bei Herrn Hess und nicht nur in der Sportreiterei, sondern überall da, wo viel Geld, das bekanntlich Alles und Jeden korrumpiert, eine Rolle spielt und die Kapitalgeber die neuen Regeln bestimmen, egal ob sie nun wirklich etwas von Pferden verstehen oder nicht, klafft das Reden und das geschriebene Wort vom Handeln so weit auseinander, dass man sich unwillkürlich fragt, was mit der Selbstwahrnehmung dieser Leute nicht stimmt. Und alle behaupten sie, sie würden sich an der klassischen Reitlehre orientieren. Angesichts dessen, kann ich gut verstehen, dass die Freizeitreiter zu der Überzeugung gelangt sind, dass sie all so was für ihren vierbeinigen Liebling doch gar nicht bräuchten.

Nein, mit diesen Leuten will ich nichts zu tun haben. Trotzdem bezeichne auch ich mich als einen Vertreter der klassischen Reitlehre und mit ziemlich viel Wut und Trotz im Bauch, bin ich auch nicht bereit, für das, was ich reite und ausbilde eine andere Bezeichnung zu finden. Schließlich bin nicht ich diejenige, die sich von den Richtlinien und der Ausbildungsskala entfernt hat. Angesichts der vielschichtigen Verflechtungen (um nicht zu sagen Verfilzung), wie sie Herr Dr. Gerd Heuschmann im ersten Teil seines Buches "Finger in der Wunde" (Empfehlung!) so treffend beschreibt, würde ich der FN eher den Vorschlag unterbreiten, neben den bekannten Sparten "Klassisches Reiten", "Westernreiten" und "Iberisches Reiten" eine eigene Sparte, die man dann "Sportreiten" oder "Turnierreiten" nennen könnte, zu eröffnen. Dies würde auf Seiten der FN sehr viel Lügen und Heuchelei überflüssig machen und bei den Reitern für mehr Klarheit sorgen. Vielleicht könnte man so die Verwirrung, die derzeit um die Ausbildungsskala herrscht, obwohl sie doch eigentlich klar definiert ist, beenden.

Liebe Leser,

Wer mehr darüber wissen möchte, dem kann ich nur mein Seminar "Mehr wissen - harmonischer reiten" ans Herz legen! (Bei Interesse bitte nachfragen!) Hier wird die Ausbildungsskala des Pferdes mit ihren sechs Begriffen, sowie die Ausbildungsskala des Reiters (ja, auch das gibt es!) und die anatomischen Zusammenhänge genau erklärt.

Liebe Freizeitreiter,

auch Eure Pferde brauchen ein gewisses Maß an Ausbildung und Training, wenn das Reiten für Euch beide ein Vergnügen sein soll. Aber ebenso wenig wie "Turnierreiten" gleichzusetzen ist mit "gutem Reiten", (am ehesten vielleicht noch mit "technisch versiertem Reiten"), bedeutet "Freizeitreiten" gleich "niveauloses Reiten". Verbringen nicht auch Turnierreiter ihre Freizeit im Sattel und verdienen das dafür notwendige Geld anderweitig? Haben diese ein Anrecht auf Lektionen wie Piaffe und Passage gepachtet? Könnt Ihr Euch nicht vorstellen, auch solche Sachen zu reiten - in Eurer Freizeit - einfach weil es toll ist, so etwas zu können und weil es sich einfach unvergleichlich anfühlt? "Jedes Pferd kann Alles lernen" hat der alte Rittmeister Tempelmann einmal gesagt. Wen interessiert da immer die Meinung eines Richters, von denen viele ganz offensichtlich nicht viel Ahnung von funktioneller Anatomie haben? Wenn ihr jenseits von Wettkampfambitionen lernen wollt, möglichst gut zu reiten und fachgerecht und ordentlich mit Euren Pferden umzugehen, bin ich für Euch der richtige Trainer. Immerhin hat "viel wissen" noch niemandem geschadet und nicht zu vergessen:

"gut reiten" ist angewandter Tierschutz!


Letzte Anmerkung: Wer nun glaubt, ich sei ja nur neidisch, weil ich selbst nie so weit gekommen bin, dem kann ich zwei Dinge entgegen halten:

1. Neid wäre vollkommen sinnlos. Was vorbei ist, ist vorbei und mit meiner verschobenen Körperstatik werde ich auch in Zukunft nicht in der S-Klasse reiten.

2. Dennoch habe ich Pferde ausgebildet, die sich an meine Schiefe gewöhnt haben und bis M ohne jeden Kraftaufwand, dafür aber mit viel Konzentrationsleistung zu reiten waren, und ihren Besizern, so sie sich denn darauf eingelassen haben, sehr viel Freude gemacht haben - und Alle behielten einen sauberen und eher überdurchschnittlichen Schritt. Keines davon ging Pass!

 
         


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Erstellt am 17.06.2014, letzte Änderung am 27. November 2015 * * * Impressum